Entlarvende Worte
Ein Klassenzimmer der Berufsbildenden Schule in Bitterfeld wird zur Theaterbühne. Hier werden ernste Themen auch mit Spaß vermittelt.
Was geht einem Menschen sechs Stunden vor seinem wissentlichen Tod durch den Kopf? Mit keinem geringeren Thema setzt sich die szenische Lesung mit Figurenspiel „Im Frühling hat man keine Lust zu sterben!“ auseinander. Am Mittwoch fand in der Berufsbildenden Schule in Bitterfeld die 100. Aufführung statt. Für Anhalt-Bitterfeld war es die erste. Anders als es die Körperhaltung zunächst vermuten ließ, stieß die Aufführung bei den sogenannten Zerspanern im ersten Lehrjahr auf Interesse, wie sich auch in der anschließenden Diskussionsrunde zeigte. […]
Raab beginnt ihre Vorstellung als neue Schulsekretärin, schlüpft jedoch im Laufe des Stückes anhand der entdeckten Dokumente aus dem Koffer in verschiedene
Rollen. So liest sie mit unterschiedlichen Stimmen beispielsweise Anklageschriften sowie letzte Briefe der Verurteilten und von deren Hinterbliebenen.
Sowohl Thema als auch dessen Präsentation sichern die Aufmerksamkeit der Zuschauer. […]Das Stück, das Raab aufführt, hat Sandra Bringer szenisch inszeniert. Anhand der dokumentierten Fälle aus der NS-Zeit will das Duo insbesondere aufzeigen, welchen Einfluss Sprache haben kann, die schließlich auch das Mittel der Propaganda sei. Und welche Gefahren dadurch auch in der heutigen Zeit drohen.
Sie machen dies an einem Wortbeispiel deutlich. „Volksschädling“ sei der Schlüsselbegriff der Vorstellung, sagt Raab.
Denn dieser stehe stellvertretend für die sprachliche Abwertung der
nicht Regime-gefälligen Menschen. […]
Benjamin Telm, Bitterfeld, Mitteldeutsche Zeitung, 23. Februar 2023