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Puppe wirkt Wunder?!

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Ein Artikel - geschrieben für die Theaterzeitschrift 'Puppen Menschen & Objekte'

Der Artikel „Puppe wirkt Wunder?!“ erschien zuerst in der Theaterzeitschrift „Puppen Menschen & Objekte“, Nr. 129, 2024/2.


Ein Bericht über die Konferenz zu „Faszination und Möglichkeiten eines Mediums“ in Northeim. Und darüber, was Figurentheater leisten kann.

2020 feierten mein Team und ich Premiere mit unserer Produktion „Der schwarze Hund – Depression aus dem Schatten ins Rampenlicht“. Seither haben wir viele unterschiedliche Veranstaltungen mit unserer künstlerischen Auseinandersetzung zur psychischen Erkrankung Depression in ganz Deutschland bereichern können.

Szenenfoto aus der Figurentheaterproduktion 'Der schwarze Hund' zum Thema Depression von Figurenspielerin Julia Raab und Anja Schwede, Foto: Julia Fenske

Wir, meine Spielpartnerin Anja Schwede und ich, sind als Angehörige von der Erkrankung Depression betroffen. Im Rahmen unserer persönlichen Suche nach Hilfe und Unterstützung sind wir auf ein Bilderbuch für Erwachsene gestoßen, in dem der Autor und Illustrator Matthew Johnstone seine Depression in Bildern beschreibt. Diese Bilder sprechen für sich. Das Buch und die damit verbundene Idee, die Erkrankung Depression als „schwarzen Hund“ zu sehen, hat uns inspiriert. Wir machten uns also 2019 gemeinsam mit einem Team weiterer Künstler:innen auf den Weg, die Depression als schwarzen Hund auf die Bühne zu bringen und ihn dort mit künstlerischen Mitteln des Figuren- und Objekttheaters zu verstehen – also sich in ihn hineinzuversetzen und sich ihm zu stellen, indem man spezifische Situationen nachempfindet.

Nicht nur unsere eigenen Erfahrungen flossen in die Stückentwicklung ein, sondern auch zahlreiche Interviews, die wir mit Betroffenen und Angehörigen durchführten. Wir haben uns auf die Suche nach weiteren Bildern für die Erkrankung gemacht und sind fündig geworden. Depression hat viele Gesichter, so ein Slogan der Deutschen Depressionshilfe. Aus all den gesammelten Bildern haben wir ein 90-minütiges Figurentheaterstück mit Maske, Puppe und Objekt entwickelt, das bewegt, triggert, heilt, informiert, berührt.

Dazu einige Publikumsstimmen

„Sehr toll gemacht! Ich habe mich sehr verstanden gefühlt & das hat mich innerlich ein bisschen geheilt.“

Zuschauer*in, 2024

„Ein großes Dankeschön an die Darstellerinnen und das gesamte Team! Das Stück hat mich sehr berührt, mein halbes Leben lief an mir vorbei. Harter Tobak… aber spitze!“

Zuschauer*in, 2024

Vielen Dank für die berührende Darstellung, die mich Tränen vergießen ließ. Man merkt, dass Sie sich mit dem Thema sehr intensiv befassen. Danke dafür.“

Zuschauer*in, 2024

Wir hören immer wieder, wie schwer doch das Thema ist. Und wir wissen aus eigener Erfahrung, wie lange es braucht zu akzeptieren, dass die Krankheit Teil des Lebens sein wird – als Betroffener und als Angehöriger. Die Wut ist groß, wenn das Gefühl dich beherrscht, in der Gesellschaft nicht offen darüber sprechen zu können. Es braucht viel Mut, etwas verändern zu wollen. Trotzdem haben wir uns diesem sehr persönlichen Auftrag gestellt – einen Beitrag zur Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen, insbesondere der Depression, zu leisten.

Faszination und Möglichkeiten eines Mediums

Im August dieses Jahres waren wir mit unserer Produktion auf das Festival „Puppe wirkt Wunder“ ins Theater der Nacht nach Northeim eingeladen. „Puppe wirkt Wunder – Faszination und Möglichkeiten eines Mediums“ lautete der Titel für die bereits 8. Figurentheaterkonferenz mit Symposium, Festival und Workshopangeboten. Für mich war es die erste Teilnahme an der Konferenz. Ich war gespannt auf den Austausch mit internationalen Kolleg*innen des Figuren- und Puppentheaters und der Figurenspieltherapie. Und natürlich auf die anderen künstlerischen Beiträge, die sich „schweren“ Themen mit dem Mittel Figurentheater widmen.

  • Wie nutzen andere die Möglichkeit der Kunstform?
  • Wie setzen sie Mittel der Animation leblosen Materials ein?
  • Wo ist die Grenze zwischen Figurentheaterkunst und Figurenspieltherapie?

Mit diesen Fragen, meinen Kolleg*innen, unserer Produktion und meinen Erfahrungen mit Theaterkunst im Zusammenhang mit psychischen Erkrankungen bin ich zu „Puppe wirkt Wunder“ gereist.

Die Konferenz begann mit dem zweitägigen Symposium, wo es in sechs Impulsvorträgen von internationalen Expert:innen um die Kraft, die Stärken und die Möglichkeiten der Puppe ging. Mareike Gaubitz vom Dokumentations- und Forschungszentrum dfp in Bochum moderierte die fachliche Vortragsreihe und führte gekonnt durch die zwei Tage.

Wir hörten viel über angewandtes Puppenspiel in verschiedenen Kontexten. Puppe oder das verlebendigte Objekt haben eine starke Wirkung in der Begegnung mit Menschen in Altenheimen, mit Kindern in der Schule, psychisch Erkrankten oder auch in der Palliativmedizin, wie die Erfahrungsberichte der Expert:innen klar dokumentierten.

Nach dem geballten Input, der immer wieder klug mit kleinen praktischen Übungen und Spielen der verschiedenen Referent*innen aufgelockert wurde, haben wir uns im Saal des Theaters der Nacht insgesamt drei Figurentheaterproduktionen anschauen können.

„Amy, Tarik und das Herz-Emoji“

In diesem starken Figurentheater-Stück des Holzwurm-Theaters aus Hamburg geht es um Cybermobbing unter Kindern und Jugendlichen. Das Figurenspiel wurde kombiniert mit Projektionen in einem ganz schlicht gehaltenen schwarzen Bühnenbild. Der Fokus lag auf den Figuren, die Jugendliche darstellten. Der Spieler, Jens Heidtmann, war in seinen klar gesetzten Gesten eindeutig Diener der bespielten Objekte und Figuren. In seinen kleinen Erzähler-Momenten spielte er den Opa einer der Figuren, doch erst am Ende wurde dem Zuschauer klar, wessen Opa er genau war. Das brachte große Spannung in den Verlauf des Stücks und überraschte am Ende. Ein kluger Zug, wie ich finde.

Im Nachgespräch traf man auch auf die Regisseurin der Produktion, Petra Erlemann. Gemeinsam berichteten sie und Heidtmann über ihre bisherigen Erfahrungen mit Schulkassen. Wie die Kinder dann ins Grübeln und Erzählen kommen: Wie könnte die Geschichte weiter gehen?

Auf ihrer Website schreiben die beiden, dass sie in ihrer Art, Figurentheater für Kinder zu machen, nicht vor ernsteren Themen zurückschrecken. Im Gegenteil: Sie nehmen sich diesen Themen mit dem Bewusstsein an, dass Kinder in derselben Welt leben wie Erwachsene.

Pressefoto von "Amy, Tarik und das Herzemoji" vom Holzwurm-Theater Hamburg

„Über die Trauer hinaus“

Die Inszenierung „Über die Trauer hinaus“ von Puppenspieltherapeutin und Heilpädagogin Sonja Lenneke ist eine präzise Animation von Figur und Objekt im Raum: ein bewegendes, fast schon bedrückendes Stück ganz ohne Worte über den Verlust einer nahestehenden Person durch den Tod. Eine schemenhafte Figur lag aufgebettet im Bühnenraum. Sehr lange konnte man sie sich anschauen. Trauernde Figuren kamen und gingen. Später dann ein Raum markiert durch einen Tisch und zwei Stühle. Wieder die Trauernden. Wie ein Sog zog einen das Spiel in die Trauer hinein.

Einige Zuschauer*innen konnten die Atmosphäre, die das stumme, sehr langsame, fast eintönige Spiel schuf, nicht aushalten. Nach knapp einer Stunde war auch ich froh, den Saal für zehn Minuten verlassen zu können, um tief durchzuatmen.

Da war es wieder, das schwere Thema. Allerdings fiel mir nicht die Thematik schwer, sondern ich konnte mit der pathetischen, sehr gleichförmigen Spielweise, die sich in den 50 Minuten kaum änderte, wenig anfangen. Ich war gespannt zu hören, welche Erfahrungen die Spielerin mit ihrem Publikum bisher machte.

Ich erfuhr, dass Sonja Lenneke das Stück vor allem für Betroffene spielt in geschützten Räumen und dann oft ein besonderer, sehr persönlicher Austausch stattfindet. Sie ist u.a. Trauerbegleiterin und hat in diesem Bereich viele Erfahrungen gesammelt. Mein Eindruck war, dass der Austausch auf der künstlerischen Ebene bisher nicht stattfand und weniger von Interesse war als der thematische.

„Sieben allein Zuhaus“

Petra Albersmann mit ihrer Interpretation des Märchens „Der Wolf und die sieben Geißlein“ ließ das Publikum aus weitestgehend Erwachsenen immer wieder herzhaft lachen. Auch der Wolf, den Albersmann als vom Amt zugewiesenen Babysitter auftreten ließ, sorgte für viel Gelächter. Am Ende siegte der Zusammenhalt und der Mut der Geschwister über die Gier des bösen Wolfs. Ein Mutmach-Theater aus Hamburg, das fetzte.

Szenenfoto aus der Figurentheaterproduktion 'Der schwarze Hund' zum Thema Depression von Figurenspielerin Julia Raab und Anja Schwede, Foto: Julia Fenske

Spielen vor Fachpublikum

Am Abend spielten wir dann selbst zum Abschluss des Festivals unsere Produktion „Der schwarze Hund – Depression aus dem Schatten ins Rampenlicht“ vor dem Fachpublikum der Konferenz. Im Anschluss an die Vorstellung fand, wie immer nach unseren Aufführungen, ein Nachgespräch statt. Geladen waren dazu auch einige Expert*innen aus der lokalen Versorgungslandschaft. Wir achten immer darauf, dass wir Expert*innen mit auf dem Podium haben, um klarzustellen, dass wir Künstler*innen sind, die keine fachliche Expertise zur Thematik haben, sondern nur aus eigener Erfahrung sprechen können. Für die fachlichen Fragen sind dann auch die Fachleute da. In der Diskussion halten sich Anmerkungen zur künstlerischen Herangehensweise und Nachfragen zu fachlichen Informationen meist ungefähr die Waage.

Im Nachgespräch in Northeim bezeichnete eine Zuschauerin unser Stück als therapeutisches Theater. An diesem Punkt sind wird allerdings anderer Meinung und das war für uns von Beginn der Stückentwicklung an klar und sehr wichtig. Im Laufe der bisher 60 Vorstellungen von „Der schwarze Hund“ hat sich diese Haltung noch verstärkt: Wir machen kein therapeutisches Theater!

Wir setzen uns künstlerisch mit der Thematik psychischer Erkrankungen auseinander. Das Figuren- und Objekttheater ist unser Ausdrucksmittel, um unsere Fragen, Erfahrungen und Empfindungen zusammenzufassen. Und einem Publikum zu präsentieren, das sich dem Thema aus einer anderen Perspektive nähern möchte. Denn ein Bild ist oft stärker als viele Worte. Und das verlebendigte Objekt kann das Herz des Zuschauers erreichen und berühren. Deshalb ja, Puppe wirkt Wunder.

Dazu eine weitere Rückmeldung:

„Das Stück ist hilfreicher, lehrreicher und heilender als ein Klinkaufenthalt! Danke!“

Zuschauer*in, 2024

Ein Theaterbesuch kann besser sein als eine Therapie. Sicher – für den einen mag das so sein. Für den anderen ist es umgekehrt. Und für manch einen hilft beides nicht. Für mich war schön auf der Figurentheaterkonferenz zu sehen, zu erleben und wieder zu erkennen, dass Figurentheater in der Vielfalt seiner Ausdrucks- und Anwendungsmöglichkeiten Menschen erreichen und berühren kann, unabhängig von ihrem Alter, ihrem Geschlecht oder eventuellen Einschränkungen.

Figurentheater – zeitgenössisch oder traditionell – oder Figurenspieltherapie: Puppe wirkt Wunder!

Termin: Der schwarze Hund

Motiv der Figurentheater-Produktion 'Der schwarze Hund' von Figurenspielerin Julia Raab und Anja Schwede, Illustration von Yves Paradis

Depression aus dem Schatten ins Rampenlicht

Jugendliche ab 16 Jahre & Erwachsene

Göltzschtalgalerie Nicolaikirche Alte Rodewischer Str. 2,  08209  Auerbach (Vogtland),  Deutschland

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Termin: Schulvorstellung: Der schwarze Hund

Motiv der Figurentheater-Produktion 'Der schwarze Hund' von Figurenspielerin Julia Raab und Anja Schwede, Illustration von Yves Paradis

Depression aus dem Schatten ins Rampenlicht

Jugendliche ab 16 Jahre & Erwachsene

Kellertheater, Städtisches Marie-Therese Gymnasium Schillerstraße 12,  91054  Erlangen,  Deutschland

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Termin: Schulvorstellung: Der schwarze Hund

Motiv der Figurentheater-Produktion 'Der schwarze Hund' von Figurenspielerin Julia Raab und Anja Schwede, Illustration von Yves Paradis

Depression aus dem Schatten ins Rampenlicht

Jugendliche ab 16 Jahre & Erwachsene

Kellertheater, Städtisches Marie-Therese Gymnasium Schillerstraße 12,  91054  Erlangen,  Deutschland

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Figurenspielerin & Theaterpädagogin

Julia Raab

In Halle (Saale) bin ich seit 2013 zu Hause.

Im Atelier fiese8 arbeite ich an neuen Figurentheater-Produktionen, Lesungen, Figuren & Objekten.

Mit meinen Produktionen bin ich im In- und Ausland unterwegs auf Festivals und auf Gastspielreise.

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